Auf der Spur von Olympia

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Maskottchen, Fackeln, Medaillen, Uniformen, Plakate – die Trouvaillen vergangener Olympischer Spiele erzählen die Kunst-Geschichte des 20. Jahrhunderts. Für Olympia-Sammler und Graphiker Markus Osterwalder ist Sport an Olympia deshalb nur eine schöne Nebensache.

Es ist, als hätte er selbst eine Olympia-Medaille gewonnen. Markus Osterwalder steht vor einem der vielen Regale, alle gefüllt mit Maskottchen, Büchern, Papieren und Merchandise-Artikeln vergangener Olympischer Spiele. Aus einer Schublade nimmt er eine bronzefarbene Medaille hervor: Paris 1924. Diese Medaille ist sein Stolz. Sie ist ein Stück Olympia-Geschichte, das ihm vor kurzem anvertraut wurde. Ihm, dem Olympia-Sammler, dem Olympia-Freak.

Es war kurz nach seinem Auftritt in Kurt Aeschbachers TV-Sendung, als sich eine Frau bei ihm meldete: Ihr Vater, Paul Schmiedlin, habe in Paris als Captain der Schweizer Fussballmannschaft Silber gewonnen – völlig unerwartet, was das Team in arge Bedrängnis brachte. Osterwalder besuchte sie und freute sich über die Geschichte. Und über die Fotos, das Tagebuch, die Medaille. «Diese Silbermedaille ist nun das wertvollste Stück meiner Sammlung», sagt der 46-Jährige. Denn sie sei nicht nur ein Stück Metall, «sie ist eine Geschichte». Und diese will Osterwalder um jeden Preis vor dem Vergessen bewahren.

Der Reiz eines hässlichen Maskottchens

Es sind mehrere Zehntausend Artikel, mit denen Osterwalder die olympische Vergangenheit am Leben erhält. In einem Raum in der Herisauer Altstadt hat er seine Schätze schön sortiert, alle fotografiert und archiviert. Mehrere Tausend Pins sind in Schubladen exakt eingeordnet. Eine Schaufensterpuppe trägt die grau-pinke offizielle Uniform von Lillehammer. Grosse, kleine, originelle und hässliche Maskottchen sind in Regalen aufgereiht. Glocken, Krawatten, Portmonees und Tassen, die an den Spielen als Merchandise-Artikel verkauft wurden. Briefmarken und Plakate. Hunderte Diplome, die von vergangenen Glücksmomenten zeugen. Und Fackeln, auf Säulen aufgereiht, die das olympische Feuer einst von Olympia aus zu den Spielen getragen hatten.

All diese Artikel sind Überbleibsel vergangener Olympischer Spiele. An ihnen haften Erinnerungen und Ereignisse, ihre Farben und Formen erzählen die graphische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie konservieren die Botschaften, mit denen sich die Austragungsländer in der Welt vermarkten wollten. Und genau das ist es, was Osterwalder so fasziniert: Es ist die graphische Planung und Umsetzung der Spiele, die Idee und die Botschaft, die sich im hässlichen Maskottchen von Atlanta 1996, in der altmodischen Volunteer-Uniform von Calgary 1988 und dem für jene Zeit enorm modernen Plakat von München 1972 versteckt. «Mich interessiert, wie sich das Thema Olympia über die Jahre im Design verändert hat», sagt Osterwalder, «vom Jugendstil der 20er-Jahre über die bunten Farben der 70er bis heute.»

Faszination Eröffnungsfeier

Für Osterwalder findet Olympia deshalb nicht nur an den Wettkampfstätten statt. Wenn er an Olympischen Spielen ist, sammelt er alles, was ihm in die Hände kommt und fotografiert alles, nur keine Sportler. Die sportlichen Resultate sind für ihn Nebensache. Er sieht sich jeweils zwar täglich einen Wettkampf an; er sah Défago gewinnen und er war dabei, als Lambiel in Turin Freudentränen vergoss. Diese Momente werden für ihn unvergesslich sein. Doch noch viel mehr interessiert ihn vor Ort, wie das graphische Olympia-Konzept umgesetzt wurde. Auf Plakaten, Abfalleimern, Namensschildern, Wegweisern. «Es ist, als würde ich nach dem olympischen Geist suchen», sagt Osterwalder.

Seit Lillehammer 1994 ist Osterwalder an alle Olympischen Winter- und Sommerspiele gereist. «Es ist jedes Mal ein neues Erlebnis», sagt er. Seine ersten Spiele bleiben ihm in besonderer Erinnerung: «Das Design war schön und die Stimmung gut.» Atlanta sei ernüchternd gewesen, kommerziell und anonym. Nagano keine tolle Stadt. Sydney ein neuer Höhepunkt. Turin war «mässig», Peking «exotisch». In Vancouver durfte Osterwalder erstmals ins olympische Dorf. Olympia sei für ihn ein Highlight der Gefühle. Diese aussergewöhnliche, positive Stimmung finde nur, wer die Spiele selber erlebe.

Höhepunkt ist für ihn jeweils die Eröffnungsfeier. Er hat seit München 1972 mit einer Ausnahme jede gesehen – vor Lillehammer im Fernsehen, nachher immer live. Die Eröffnungsfeier von München, die er als Achtjähriger in Ecuador, wohin seine Eltern ausgewandert waren, am TV sah, «war bombastisch», erinnert sich Osterwalder. Als Sechzehnjähriger erhielt er vom Vater eines Freundes einen Pin aus Moskau 1980. Es war das erste Stück seiner Sammlung. Und der Beginn einer Leidenschaft, die ihn seither nicht mehr losgelassen hat.

Sammlerei heute refinanziert

Auf seiner über 20-jährigen Suche nach olympischen Trouvaillen wurde Osterwalder nicht nur Olympia-Spezialist, sondern lernte nebenbei auch die Welt kennen. «Und sehr, sehr viele Leute.» Heute hat der St. Galler, der seit 1983 wieder in der Schweiz wohnt und in Herisau ein Graphikerbüro führt, Kontakte auf der ganzen Welt. Und auf die komme es an, sagt er, denn «vor und während den Spielen kommt man zu keinen wertvollen Sammlerobjekten». So geht die Suche jeweils erst zuhause richtig los. Nach Leuten, die haben, wonach er sucht. Oder die vielleicht verhindern können, dass das für ihn so Wertvolle im Müll landet.

Etwa 300 Olympia-Sammler gibt es. 150 von ihnen treffen sich jedes Jahr irgendwo auf der Welt. Sie reden, tauschen, handeln. Osterwalder ist bekannt für die weltweit grösste Maskottchen-Sammlung. Auch Fackeln haben es im angetan. Die Fackel von Vancouver ersteigerte er auf Ebay. Von den 23 000 chinesischen Fackeln hingegen landete keine einzige auf dem Markt. Osterwalder fand aber einen Franzosen, der bei einem Wettbewerb eine gewonnen hatte, und kaufte sie ihm ab. Andere Fackeln sind für ihn unerschwinglich – bis zu 250 000 US-Dollar werden für sie bezahlt. Osterwalder ist trotzdem auf der Suche nach ihnen – für andere Sammler. Damit kann er heute seine Sammlerei, für die er in früheren Jahren «viel zu viel» ausgegeben hat, refinanzieren.

Olympia als Traumberuf

Osterwalder hat fast jede Akte, jede Broschüre, jeden Zettel zu den Spielen studiert. Er flog nach Peking, um den chinesischen Olympia-Designer kennenzulernen. Er las ganze Regale voller Ordner zu den einzelnen Spielen. Auch die Schlussberichte, die neben offiziellen Dokumenten, Sportreglementen, Ergebnissen und Programmen auch Details zur graphischen Planung, zu Logos, Farben und nicht zuletzt den Maskottchen enthalten. Diese graphischen Richtlinien und Normen seien die schönsten Stücke seiner Sammlung, sagt Osterwalder. Denn «Olympische Spiele waren immer Vorreiter für Neues».

Osterwalders Leidenschaft hat sich gelohnt. Heute ist Olympia sein Vollzeitberuf: Für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 produziert und gestaltet er als Graphiker mit anderen Sammlern eine Buchreihe zu den «Olympic Memorabilias», den Olympia-Sammlerobjekten. «Endlich weiss ich, wozu ich so viel Zeit und Geld in Olympia investiere», sagt Osterwalder mit einem Lächeln: «Damit all dieses Wissen nicht verloren geht.» Und wer sich von seiner Begeisterung anstecken lässt, zweifelt keinen Moment daran, dass er seinen Traum dereinst verwirklichen wird: Ein eigenes Olympia-Museum. Denn Olympia ist sein Lebensprojekt. Und er hat noch viel vor.

Mehr Infos unter www.theolympicdesign.com

Dieses Porträt erschien am 21. Juni 2010 im Olympiablog von Swiss Olympic.

Text und Fotos: Manuela Ryter

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